Monte Brento Trilogie

Die beeindruckendste Felswand im Sarcatal ist sicherlich der Monte Brento. Vom zentralen Wandteil leuchtet eine riesige gelbe Dachzone herunter ins Tal. insgesamt 150m Überhang ergeben sich hier bei circa 800m Wandhöhe. Das macht diesen Berg zu einem der sichersten und beliebtesten Spots für Basejumper in Europa. Durch diesen Wandteil führen aber auch einige lange Techno-Klassiker und eine einzige futuristische Freikletterroute von David Lama und Jorg Verhoeven, die “Brento Centro”, 8b, in die sich bisher nur ganz wenige Seilschaften erfolgreich verirrten. Für unsere Trilogie sollte es aber nicht die berühmte Dachzone werden, auch kein Techno-Gerampfe oder ausufernde Schwierigkeiten, sondern der direkt südlich anschließende und ähnlich hohe Wandteil Grande Placconata mit seinen 700 Höhenmetern Plattenwüste.

Nachdem ich schon viele Touren am Monte Brento geklettert war, reifte in mir schon seit einigen Jahren der Plan, an diesem Berg mehrere Routen an einem Tag zu klettern. Mit Anderl Lindner testeten wir im Jahr 2019 schon einmal, wie schnell man sicher und ohne gleich auf Vollspeed zu gehen durch die Wand kommt. Wir wählten dafür die bekannte “Via Boomerang”, VI, 800m. Nach 3 Stunden Kletterzeit standen wir wieder am Ausstieg und saßen bald beim vormittäglichen Bier in San Giovanni. Der erste Schritt für eine realistische Zeitplanung war gemacht.


Es vergingen einige Jahre, in denen anderweitige Verpflichtungen einem ernsthaften Versuch im Weg standen. Der ideale Zeitraum für dieses Projekt ist aber auch nicht allzu lang. Am besten hat man einen langen Tag, ein paar Wolken und nicht zu hohe Temperaturen, um nicht elendig aus der Wand gebrannt zu werden. Wir meinten, Anfang bis Mitte Mai wäre es ganz brauchbar.


Also, Nägel mit Köpfen machen. Mit Simon Ehrtmann vereinbarte ich schon im Herbst 2022 ein Datum für das Frühjahr 2023, um den Terminkalender zum passenden Zeitpunkt nicht wieder komplett überladen zu haben. Simon war von der Idee sofort voll angefixt und sehr motiviert. Ein echter Liebhaber langer Tage auf den Haxen und am Fels. Jetzt ging es in die Planung unserer Taktik, Logistik, Verpflegung und schließlich zur Routenauswahl für diesen langen Tag. Ziel war es, konstant flott unterwegs zu sein, ohne größere Risiken einzugehen. Eine familienfreundliche Trilogie sozusagen… Am Ende fielen die “Via degli Amici” und die Touren an der Ostwand durch unser Safety bzw. Zeitplan-Raster und so Stand die anvisierte Trilogie fest:
 
“Dreams of Infinity”, VII/VII+, ~20 SL
“Speranza”, VII/VII+, ~20 SL
“Via Boomerang”, VI, ~20 SL


Zur Vorbereitung kletterten wir noch 5x die San Paolo Wand nahe Arco über verschiedene Routen rauf. 7 Stunden waren wir hier Car to Car inklusive 4 kurzen Pausen unterwegs. Nach einer langen Führungssaison auf Ski und im Eis ideal zum Einklettern. Nahezu alle Unklarheiten wurden beseitigt. Nur das Thema Aua an den Füßen war noch nicht vollständig geklärt und so konnte es endlich losgehen.

Nachmittags am 28.04.23 machten wir uns von Lenggries auf den Weg zu unserer Base nach San Giovanni hoch über dem Sarcatal. Nachdem wir unser überschaubares Material sortiert hatten und uns ein paar Kaltgetränke genehmigt hatten, ging es perfekt hydriert um 23 Uhr ins Bett. Um 3 Uhr klingelte der Wecker und um 3:30 Uhr starteten wir dann im Schein unserer Stirnlampen den ersten Zustieg über den “Schnellabstieg” zur Grande Placconata. Über Forstwege, einen sehr steilen Steig und einmal Abseilen erreicht man die Höhe der Einstiege und quert dann noch über Schotterfelder und Wald zum Fuß der Wand. Im Stockfinsteren suchten wir den Einstieg der “Dreams of Infinity”, wurden fündig und warteten dann noch einige Zeit, bis es langsam heller wurde. Startschuss für die erste Route.

Also ging es mit fünf Microtraxionen, Seil und Expressschlingen behangen simultan kletternd die Wand hoch. Wenn der Seilverlauf ungünstig war, wurden die simultanen Seillängen kürzer und auch die schwierigsten Passagen wurden vom Standplatz gesichert. Diese Taktik führten wir in allen 3 Routen durch und es lief bis auf einen kurzen Verhauer im Halbdunklen wie am Schnürchen. Nach circa 6 Seillängen sahen wir, dass 3 Seilschaften in 
die “Via Boomerang” einsteigen würden. Also wussten wir schon jetzt, dass wir diese nicht als nächstes angehen würden, um nicht im Stau hängen zu bleiben.


Der Rest ist schnell erzählt. “Dreams of Infinity” rauf. Runter zum Auto. Trinken. Essen. Start in die 2. Runde. Also wieder absteigen. “Speranza” rauf klettern. 1x überholen einer freundlichen Südtiroler Seilschaft. Erste Probleme mit den Füßen am Ende der "Speranza". 
Ausstieg. Runter zum Auto. Trinken. Essen. Dann den inneren Schweinehund überwinden, um wieder aufzustehen. Start in die 3. Runde. Am Einstieg die Erkenntnis: “Ja, die Zehen sind nicht mehr frisch…” .“Via Boomerang” rauf klettern.


In den letzten 3 Seillängen liefen wir dann doch noch auf die in der Früh eingestiegenen Boomerang-Aspiranten auf. Auch diese wurden nach kurzer Wartezeit in höflichster Form von Simon überholt und nach kurzer Zeit standen wir am Ausstieg im Wald! Sehr, sehr geil. Wir hätten sogar noch Puffer an Tageslicht gehabt. Glücklich und deutlich gemütlicher ging es dann ein letztes Mal hinunter zum Auto und zum wohlverdienten Bier… und raus aus den Schuhen.
Pizza gab es dann leider keine mehr, weil die Küche unten in Arco im “Lanterna” schon geschlossen war. Aber die Chefin wärmte uns die beste Minestrone aller Zeiten auf und versorgte uns mit ausreichend Getränken. Bekannte, die zufällig auch in Arco waren, leisteten uns noch bis 1 Uhr in der Nacht Gesellschaft, dann fielen wir aber endgültig müde ins Bett. Ich hatte dann am nächsten Tag Körper. Ist aber auch egal.
Merce an Simon. Schön war es, diesen Schinter mit dir gemacht zu haben!
 

Die Brento Trilogie, VII/VII+, ~60 Seillängen, Monte Brento (Grande Placconata):
“Dreams of Infinity”, VII/VII+, ~20 SL, 4:01h, S2
“Speranza”, VII/VII+, ~20 SL, 3:32h, RS3
“Via Boomerang”, VI, ~20 SL, 3:36h, R3
Insgesamt knapp 17h “Car to Car".
11:09h Klettern, knapp 6h absteigen, Pausen und Ressourcen auffüllen.

Strecke:
3x 5,2km, 700Hm → ~15,6 km absteigen, ~2100 Höhenmeter klettern bzw. absteigen

Material:
50m Einfachseil
20 Expressschlingen
5 Microtraxion
Cams 0.3-0.75
Stirnlampe

Fazit:
Insgesamt eine der am besten zu machenden Trilogien von Wänden dieses Ausmaßes, da der Zu- und Abstieg nicht besonders anspruchsvoll sind und man damit eine Unterbrechung der langen Konzentrationsphase bekommt. Logistisch ideal, da man keine Depots für Verpflegung anlegen muss und nach jeder Runde am Auto vorbei kommt. Trotzdem bleibt die Bereitschaft für ein gewisses Maß an Fatalismus, das entsprechende Kletterniveau und eine gute Kondition Grundvoraussetzung.