Laliderer - "Schmid/Krebs", "Nordverscheidung", "Direkte"

Die Laliderer Wände sind eine der imposantesten Wandfluchten in den Alpen. Bis zu 850 Meter ragen die Nordwände in den Himmel. Begrenzt werden sie durch zwei steile Grate, vom Grubenkarpfeiler im Osten und von der Herzogkante im Westen. Dazwischen erheben sich 3 Gipfel, von denen die Wände ins Laliderer Tal abbrechen. Im Osten befindet sich die Dreizinkenspitze, in der Mitte die Laliderer Wand und im Westen die Laliderer Spitze. Alle 3 sind knapp über oder unter 2600 Meter hoch. 

An den „Lalis“ wurde jahrzehntelang Klettergeschichte geschrieben. Die erste Route durch die Hauptwand legte die Seilschaft Dibona/Rizzi/Mayer im Jahr 1911. Die Tour war damals eine der schwersten Klettereien überhaupt. Mit der „Schmid/Krebs“ und der „Direkten“ haben es zwei Routen ins Kultbuch „Pause- Im Extremen Fels“ geschafft. Bis in die 1980er Jahre war in der Wand noch recht viel los und jeder Alpinkletterer musste fast zwingend einmal durch diese finstere und furchteinflößende Mauer klettern. Dann kam das Sportklettern mit Bohrhaken in Mode und die Prioritäten der meisten Kletterer verlagerten sich auf absolute Schwierigkeitsgrade mit guter Absicherung, wobei auch die Abenteuerlust und Risikobereitschaft sank. 

In den Laliderern blieb aber, bis auf eine Ausnahme („Magic Line“), alles beim Alten. Keine Bohrhaken, oft brüchiger Fels, bedrückendes Ambiente und immer noch hohe Schwierigkeiten sind die Merkmale aller Linien der Wand. Im Panico-Führer von 2020, den ich sehr empfehlen kann, ist zu lesen: „Die Laliderer sind und bleiben eine der gewaltigsten und gefährlichsten Wände in den Alpen. In allen vorgestellten Kletterwegen ist ein sehr hohes Maß an Eigenverantwortung gefragt. Sicheres Klettern in unzuverlässigem Gestein ist die allererste Grundvoraussetzung, dazu kommt der absolut versierte Umgang mit Stoppern und Cams, eine unerschütterliche Vorstiegsmoral und ein ausgeprägtes Gespür für den richtigen Weg. Hammer und Haken sollten, außer in der „Magic Line“, überall dabei sein.“ 

Als Resultat war es für viele Jahre still um dieses Juwel des Abenteuerkletterns geworden. Mittlerweile gibt es aber doch wieder eine ansteigende Zahl an Alpinisten (v.a. Tiroler und Bayern), die sich in die alten Routen wagen. Für uns als Lenggrieser Kletterer und Bergsteiger blieben die Lalis auf der Tourenliste jedoch immer ganz weit oben. Das liegt mit Sicherheit daran, dass wir einfach den kürzesten Weg ins Risstal haben und die Wände von unseren beschaulichen Voralpenbergen immer vor Augen haben. 

Einer der klettertechnisch anspruchsvollsten Klassiker ist die „Nordverschneidung“, VII, von Hias Rebitsch und Franz Lorenz aus dem Jahr 1947. David und ich gönnten uns diese Tour im Herbst 2016, an einem sehr kalten Tag. Gestartet wird wie bei den Routen „Reich des Zyklopen“, „Dibona“ und „Charly Chaplin“ über die markante Einstiegsrampe. Danach wird über ein stellenweise unangenehmes Band nach rechts gequert, um plattiges Gelände zu erreichen. Über dieses und einen steilen Riss wird die eigentliche Verschneidung erreicht. Um in den Riss zu gelangen, ist aber zuerst eine etwas moralische Querung zu meistern. In der Verschneidung heißt es dann Spreizen und Stemmen was das Zeug hält. Das geht vor allem auf die Wadln, weniger auf die Arme. 

Im unteren Teil ist der Fels ganz passabel, was typisch für die Laliderer ist. Im obersten Teil der Verschneidung wird der Fels aber schon noch brüchig. Nach der Verschneidung gibt es 3 Ausstiegsmöglichkeiten. Die Variante von List/Meinetsberger, den Originalausstieg (der kaum geklettert wird) und den Sussmann-Ausstieg. Wir wählten den Sussmann-Ausstieg und machten damit vielleicht (?) die erste Wiederholung dieser Variante. 

Hier wird im Kessel nach der Verschneidung scharf nach rechts auf einem ausgesetzten Band gequert, um über Risse und Verschneidungen auf die markante Kante des oberen Wandteils zu gelangen. Auf der Kante angekommen, verfolgt man  für 3 weitere Seillängen, die mittlerweile hinzugekommene „Magic Line“. Auf dem obersten Band kann entweder über den Originalausstieg oder weiter über die „Magic Line“ bis zum Grat geklettert werden. Auf der von uns begangenen Variante, findet man passablen Fels und somit kann ich diese nur empfehlen. 

Durch die kalten und etwas feuchten Bedingungen, die wir an diesem Tag vorfanden, kamen wir verhältnismäßig langsam voran und benötigten ganze 11 Stunden für die Tour. Am Grat, nahe der Biwakschachtel, traf uns dann erstmal der Schlag. Um die Biwakschachtel war eine Horde von Menschen versammelt, alles Wanderer die von Süden über den Normalweg aufgestiegen waren. 

Insgesamt zählten wir 17 Personen. Durch die fortgeschrittene Zeit, kam für uns ein Abstieg durch die Spindlerschlucht nicht mehr in Frage. Also mussten wir uns 2 Wolldecken erbetteln und „schliefen“ unter den Betten am Boden. Ich gebe hier mal keine weitere Wertung ab. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich bei meinen bisher 8 Routen an den Lalis kein weiteres Mal auf die Biwakschachtel zurückgreifen musste… Am nächsten Tag genossen wir als Entschädigung einige Frühstücksbier auf der Falkenhütte. Ist ja auch geil! 

Eine Tour die sicherlich am häufigsten in der Wand begangen wird, ist die „Schmid/Krebs“, VI. Klettertechnisch ist sie einen Tick leichter als die meisten Routen durch die Laliderer. Man sollte sie deswegen aber keinesfalls unterschätzen. Mit Anderl kletterte ich im Juli 2018 in 7.30 Stunden durch die Route. Schon im Jahr 1929 von Emil Krebs und Toni Schmid erstbegangen, bietet diese Tour immer noch anspruchsvolle Seillängen auf oft brüchigem Fels. 

Der Start in die Tour ist mit ihrer brüchig-lehmigen Verschneidung erstmal heikel. Das bessert sich aber recht schnell und der Fels wird angenehmer. Die Tour schlängelt sich gekonnt durch die Wand und man sollte den Abzweig nach rechts, im unteren Wandteil, nicht verpassen. Ansonsten steht man in der „Erdenkäufer/Sigl“. In der Querung kletterten wir dann hinter dem  markanten Turm durch, was recht gut geht. An der Dachquerung angekommen, hält man sich tief. Hier ist der Fels sogar richtig gut und man erreicht plattiges Gelände. Danach kommt die klettertechnisch anspruchsvollste Seillänge der Tour: Die Krebsrisse. Hier ist der Fels recht glatt, aber dadurch auch fest und gut zu klettern, wobei man auch seine Riss-Skills auspacken muss. 

Eine Seillänge im weiteren Verlauf fand ich sehr brüchig. Diese ist mit V+ bewertet und der Vorsteiger muss gut aufpassen, dass er dem Sicherer keine Steine drauf schmeißt. Über einen Kamin erreicht man anschließend den Pfeilerkopf, von dem ein spannender Spreizschritt auf die gegenüberliegende Wand gemacht werden muss. Die nächste markante Passage ist dann das 100 Meter-Wandl. Hier ist sehr freie Kletterei, mit ganz wenigen fixen Haken, gefordert. Überall hängen noch die alten Drahtseile von einer früheren legendären Rettungsaktion in der Wand. Es ist sehr verlockend, hier die ein oder andere Schlinge um das Drahtseil zu wickeln. Das sollte man aber vermeiden, da das Seil nur über windige Felszapfen hängt. Es handelt demnach mehr um ein zur Vorsicht mahnendes Relikt. 

Am Ende des 100 Meter-Wandls landet man in einem Felskessel und kann das Seil erstmal auf den Rücken binden. Wir haben in den Schluchten und Rippen des oberen Wandteils noch eine brüchige Seillänge gesichert. Nach oben hin wird die Wand zu einer regelrechten Schotterhalde und man sollte jeden Block genau prüfen. 

Das i-Tüpfelchen des Tages ist die Ausstiegrinne. In der lehmigen Rinne kraxelt man zuerst an einer Seite der Rinne nach oben, um zum Schluss ausspreizend vorwärts zu kommen. Ganz am Ende der Rinne wühlt man sich unter einem Klemmblock durch und kugelt sich auf die Sonnenseite des Lebens am Gipfel! Ein super Gefühl! Der Abstieg verläuft wieder über die Biwakschachtel und die Spindlerschlucht zurück in die Eng. Insgesamt ist die Tour nicht besonders schön, aber ein echtes Abenteuer ist auch hier garantiert. 

Ein echter Alpinschinter und nur was für „Erzbergsteiger“ ist die „Direkte Nordwand“ (Rebitsch/Spiegl/Rainer), VII, an der Laliderer Spitze aus dem Jahr 1946. Wieder mit Anderl, konnten wir dieses große Abenteuer im Juli 2019 klettern. Hier wird wirklich der gesamte Alpinkletterer gefordert. Nicht dass das in den anderen Laliderer-Touren anders wäre, aber hier muss man, meiner Meinung nach, nochmal konsequenter unterwegs sein. 

Schon die erste Seillänge gibt den Takt vor und es ist schwer für den angegebenen Schwierigkeitsgrad. Positiv ist, dass man durch die nordostseitige Ausrichtung lange Zeit in der Sonne klettert und die Stimmung deshalb nicht ganz so bedrückend ist. Eine weitere schwere Stelle stellt die Querung unter einem kleinen Dach in der dritten Seillänge dar und in der fünften Seillänge kommt die klettertechnisch schwerste Passage der Route. Ein steiler Riss, leider etwas dreckig, mit vielen alten Rostgurken. Heute würde man diese Seillänge sicher schwerer als VII bewerten. Ansonsten findet man natürlich auch in dieser Linie nur altes Zeug. 

In weiterhin steilen Rissen und Verschneidungen geht es zur nächsten markanten Kletterpassage: Der frühere Seilquergang. Hier ist der Fels richtig gut, plattig und es hat auch ein paar Haken. Da kommt kurzzeitig fast Sportkletterfeeling auf. Über 2 weitere Längen erreicht man den 1. Turm. Im oberen Teil des Turms wird es leider gefährlich. Der Fels ist dermaßen schlecht, dass man es kaum glauben kann. Erst wenn man oben am Turm ankommt und der Schluchtüberhang ansteht, wird der Fels wieder gut. 

Im Anschluß arbeitet man sich die ausgewaschene Schlucht aufwärts, bevor an einem Felskopf Stand bezogen werden kann. Bei einem markanten Moosstreifen, geht es in die linke Schluchtwand. Nach dieser Seillänge führt die Originallinie rechts raus. Hier wartet eine ordentliche Boulderpassage auf die Begeher, bevor es leicht abwärts querend in flacheres Gelände geht. Der 2.Turm ist jetzt nicht mehr weit und man erklettert diesen über Verschneidungen und Risse. 

Nach einer leichten Querung, muss auf ein besonders filigranes Türmchen geklettert werden und auf diesem wird Stand bezogen. Echt bissl gruslig. Ein letzter brüchiger Überhang muss jetzt noch überwunden werden, bevor man in einer feuchten Verschneidung steht. Hier gibt es einige Haken und der Fels ist wieder fest. Danach hat man das leichtere Gelände der Tour erreicht und es geht rechtshaltend über plattiges und flacheres Gelände zur Herzogkante, wo einem wieder die Sonne ins Gesicht lacht. Über diese erreicht man auch den Gipfel der Laliderer Spitze. 

Wir haben für die Tour 11:30 Stunden gebraucht und sind noch am selben Tag über die Spindlerschlucht abgestiegen. Nachdem wir um 3:30 Uhr in der Eng gestartet waren, haben wir diese um 21:45 Uhr wieder erreicht und hatten damit einen langen Hammertag hinter uns. Ich würde für alle Laliderer-Routen 6 Schlaghaken (v.a. auch Messerhaken) und Hammer pro Mann empfehlen, da das Gestein des Öfteren recht klemmgerätefeindlich ist. Für mich sind diese Wände ein einzigartiger Ort und ich möchte keinen Tag darin missen!